Der Pflegeberuf ist anspruchsvoll und geprägt von besonderen Arbeitsbedingungen. Schichtdienst, Nachtarbeit und Wochenendeinsätze gehören zum Alltag vieler Pflegefachpersonen. Umso wichtiger ist es, die eigenen Rechte und Pflichten zu kennen. Dieser Artikel gibt einen Überblick über die wichtigsten arbeitsrechtlichen Regelungen in der Langzeitpflege.
Grundlagen des Schweizer Arbeitsrechts für Pflegefachpersonen
Das Arbeitsverhältnis von Pflegefachpersonen richtet sich nach verschiedenen Rechtsquellen:
- Obligationenrecht (OR): Grundlegende Bestimmungen zum Arbeitsvertrag
- Arbeitsgesetz (ArG): Regelungen zu Arbeitszeit, Ruhezeiten und Gesundheitsschutz
- Gesamtarbeitsverträge (GAV): Branchenspezifische Regelungen, die oft über das Gesetzesminimum hinausgehen
- Individuelle Arbeitsverträge: Vertragliche Vereinbarungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
Viele Pflegeheime und Spitex-Organisationen sind an den Gesamtarbeitsvertrag ARTISET (ehemals CURAVIVA GAV) oder kantonale GAV gebunden. Diese bieten oft bessere Konditionen als das gesetzliche Minimum und regeln spezifische Aspekte der Pflegearbeit detailliert.
Arbeitszeit und Arbeitszeitmodelle
Gesetzliche Höchstarbeitszeiten
Nach dem Arbeitsgesetz gelten folgende Höchstarbeitszeiten:
- Wöchentliche Arbeitszeit: Maximal 50 Stunden pro Woche (bei Schichtbetrieb durchschnittlich 45 Stunden über 4 Wochen)
- Tägliche Arbeitszeit: In der Regel nicht mehr als 9 Stunden, bei besonderer Belastung maximal 10 Stunden
- Überstunden: Maximal 2 Stunden pro Tag, begrenzt auf 170 Stunden pro Jahr
In der Praxis arbeiten viele Pflegefachpersonen nach GAV mit einer regulären Wochenarbeitszeit von 42 Stunden. Vollzeitangestellte in Pflegeheimen haben oft ein Pensum von 100%, was je nach Institution 41-43 Wochenstunden entspricht.
Schichtarbeit und Dienstplanung
Die Langzeitpflege erfordert eine durchgehende Besetzung rund um die Uhr. Typische Schichtmodelle sind:
- Frühschicht: Ca. 6:30-14:30 Uhr oder 7:00-15:00 Uhr
- Spätschicht: Ca. 13:30-21:30 Uhr oder 14:00-22:00 Uhr
- Nachtschicht: Ca. 21:00-7:00 Uhr
- Langdienste: Oft 7:00-19:30 Uhr oder ähnlich (mit verlängerter Pause)
Der Dienstplan muss gemäss Arbeitsgesetz mindestens eine Woche im Voraus bekannt gegeben werden. Viele GAV verlangen sogar eine Planungsvorlaufzeit von 4 Wochen. Kurzfristige Änderungen sind nur in begründeten Notfällen zulässig.
Wichtig: Recht auf Mitsprache bei der Dienstplanung
Arbeitnehmende haben ein Recht auf Berücksichtigung ihrer persönlichen Situation bei der Dienstplanung. Dies umfasst insbesondere:
- Kinderbetreuungspflichten
- Pflege von Angehörigen
- Aus- und Weiterbildungstermine
- Gesundheitliche Einschränkungen (z.B. Verzicht auf Nachtdienste aus medizinischen Gründen)
Pausen und Ruhezeiten
Gesetzlich vorgeschriebene Pausen
Das Arbeitsgesetz schreibt folgende bezahlte Pausen vor:
- Bei einer Arbeitszeit von mehr als 5,5 Stunden: mindestens 15 Minuten Pause
- Bei einer Arbeitszeit von mehr als 7 Stunden: mindestens 30 Minuten Pause
- Bei einer Arbeitszeit von mehr als 9 Stunden: mindestens 1 Stunde Pause
In der Praxis werden Pausen oft in bezahlte Kurzpausen (z.B. 15 Minuten) und unbezahlte Mittagspausen (z.B. 45-60 Minuten) unterteilt. Die genaue Regelung finden Sie in Ihrem Arbeitsvertrag oder GAV.
Tägliche und wöchentliche Ruhezeiten
Zwischen zwei Arbeitseinsätzen muss eine Ruhezeit von mindestens 11 Stunden liegen. Diese kann bei Schichtwechsel auf minimal 8 Stunden reduziert werden, muss aber innerhalb von 14 Tagen kompensiert werden.
Pro Woche steht Ihnen eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 35 Stunden zu (inkl. Sonntag). Dies entspricht in der Regel einem freien Tag plus der Nachtruhe davor und danach.
Nacht- und Sonntagsarbeit
Nachtarbeit
Als Nachtarbeit gilt Arbeit zwischen 23 Uhr und 6 Uhr. Pflegefachpersonen, die regelmässig Nachtdienste leisten, haben Anspruch auf:
- Zeitzuschlag: 10% auf die Nachtarbeitsstunden (oft durch GAV höher geregelt, z.B. 15-25%)
- Kompensationsruhe: 10% der geleisteten Nachtarbeitsstunden als zusätzliche Freizeit
- Regelmässige Gesundheitskontrollen: Ärztliche Untersuchungen auf Kosten des Arbeitgebers
Wer regelmässig Nachtarbeit leistet (mindestens 25 Nächte pro Jahr oder mindestens 3 Nächte pro Woche), hat zusätzlich Anspruch auf besondere Schutzbestimmungen und kann bei gesundheitlichen Problemen die Versetzung auf Tagarbeit verlangen.
Sonntagsarbeit
Pflegeheime sind vom Sonntagsarbeitsverbot ausgenommen, da die Betreuung nicht unterbrochen werden kann. Für Sonntagsarbeit gelten besondere Regelungen:
- Ersatzruhe: Innerhalb von 6 Tagen muss ein ganzer Ruhetag gewährt werden
- Zuschläge: Lohnzuschlag von mindestens 50% (oft durch GAV geregelt, z.B. 50-100%)
- Maximale Häufigkeit: Höchstens jeden zweiten Sonntag (Durchschnitt über 4 Wochen)
Ferien und Freizeit
Ferienanspruch
Der gesetzliche Mindestferienanspruch beträgt:
- Erwachsene (ab 20 Jahren): 4 Wochen pro Jahr
- Jugendliche (bis 20 Jahre): 5 Wochen pro Jahr
Viele GAV im Pflegebereich sehen jedoch 5 Wochen Ferien für alle Mitarbeitenden vor. Ab einem bestimmten Alter (z.B. ab 50 oder 60 Jahren) oder nach langer Betriebszugehörigkeit gibt es oft zusätzliche Ferientage.
Bezug und Planung von Ferien
Der Arbeitgeber bestimmt grundsätzlich den Zeitpunkt der Ferien, muss dabei aber auf die Wünsche der Arbeitnehmenden Rücksicht nehmen. Ferien müssen im laufenden Jahr bezogen werden. Eine Übertragung ins Folgejahr ist nur ausnahmsweise möglich.
Mindestens 2 Wochen Ferien müssen zusammenhängend gewährt werden, wenn dies von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer gewünscht wird.
Achtung: Ferienkürzung bei Krankheit
Bei längerer Krankheit oder Unfall darf der Ferienanspruch gekürzt werden:
- Bei mehr als 2 Monaten Arbeitsunfähigkeit: Kürzung um 1/12 pro Monat
- Diese Regelung gilt nur ab dem 2. vollen Monat der Abwesenheit
- GAV können hier grosszügigere Regelungen vorsehen
Lohn und Lohnansprüche
Lohnzahlung und Lohnausweis
Der Lohn muss monatlich und pünktlich ausbezahlt werden. Sie haben Anspruch auf einen detaillierten Lohnausweis, der alle Zuschläge, Abzüge und Sozialversicherungsbeiträge ausweist.
Lohnfortzahlung bei Krankheit und Unfall
Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit oder Unfall haben Sie Anspruch auf Lohnfortzahlung. Die Dauer richtet sich nach der sogenannten Berner, Basler oder Zürcher Skala, je nachdem, welche in Ihrem Arbeitsvertrag vereinbart ist:
- Im 1. Dienstjahr: 3 Wochen voller Lohn (Berner Skala) bis 3 Monate (Zürcher Skala)
- Nach längerer Betriebszugehörigkeit: Bis zu mehreren Monaten
Viele Arbeitgeber schliessen eine Krankentaggeldversicherung ab, die 80% des Lohns für bis zu 720 Tage abdeckt. Informieren Sie sich über die Regelung in Ihrer Institution.
Kündigungsschutz und Kündigungsfristen
Ordentliche Kündigung
Die Kündigungsfristen sind wie folgt geregelt:
- Probezeit (1-3 Monate): 7 Tage
- Im 1. Dienstjahr: 1 Monat
- Ab 2. bis 9. Dienstjahr: 2 Monate
- Ab 10. Dienstjahr: 3 Monate
Die Kündigung muss schriftlich erfolgen und auf das Ende eines Monats ausgesprochen werden.
Kündigungsschutz in besonderen Situationen
In folgenden Situationen besteht ein zeitlich begrenztes Kündigungsverbot (sogenannte Sperrfristen):
- Bei Krankheit oder Unfall (30-180 Tage, je nach Dienstjahren)
- Während Schwangerschaft und 16 Wochen nach Geburt
- Während obligatorischem Militär- oder Zivildienst und 4 Wochen davor/danach
- Während bewilligtem Hilfsdienstleistungen im Ausland
Eine während der Sperrfrist ausgesprochene Kündigung ist nichtig und muss nach Ende der Sperrfrist erneut ausgesprochen werden, wenn der Arbeitgeber am Kündigungswunsch festhält.
Weiterbildung und berufliche Entwicklung
Viele GAV verpflichten Arbeitgeber, die berufliche Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden zu fördern. Dies umfasst:
- Bezahlte Weiterbildungstage (z.B. 5-10 Tage pro Jahr)
- Finanzielle Unterstützung bei Kurskosten
- Anpassung der Dienstplanung für Kursteilnahme
- Anrechnung von Weiterbildungszeit an die Arbeitszeit
Nutzen Sie diese Möglichkeiten aktiv. Weiterbildung sichert nicht nur Ihre berufliche Qualifikation, sondern macht Sie auch weniger anfällig für chronische Erschöpfung und berufsbedingtes Burnout durch Abwechslung und neue Perspektiven.
Arbeitszeugnis
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben Sie Anspruch auf ein Arbeitszeugnis. Sie können wählen zwischen:
- Vollzeugnis: Enthält Angaben zu Leistung und Verhalten (üblich bei unbefristetem Arbeitsverhältnis)
- Arbeitsbestätigung: Enthält nur Angaben zu Dauer und Art der Tätigkeit (auf Wunsch möglich)
Das Zeugnis muss wohlwollend formuliert sein, darf aber nicht irreführend sein. Wenn Sie mit dem Zeugnis nicht einverstanden sind, können Sie eine Anpassung verlangen oder gerichtlich dagegen vorgehen.
Wo Sie Unterstützung finden
Bei arbeitsrechtlichen Fragen können Sie sich an folgende Stellen wenden:
- Berufsverband SBK: Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner bietet Mitgliedern Rechtsberatung an
- Gewerkschaften: VPOD (Verband des Personals öffentlicher Dienste) oder Syna vertreten Interessen von Pflegefachpersonen
- Kantonale Arbeitsinspektorate: Überprüfen die Einhaltung des Arbeitsgesetzes
- Rechtsberatungsstellen: Viele Kantone bieten kostenlose oder günstige Erstberatung an
Fazit
Das Arbeitsrecht in der Langzeitpflege ist komplex und durch verschiedene Regelungen geprägt. Kennen Sie Ihre Rechte und scheuen Sie sich nicht, diese einzufordern. Ein fairer Umgang mit Arbeitszeiten, angemessene Pausen und geregelte Ruhezeiten sind nicht nur gesetzliche Pflicht, sondern auch wesentlich für Ihre Gesundheit und die Qualität Ihrer Arbeit. Informieren Sie sich regelmässig über Änderungen in GAV und Gesetzgebung und nutzen Sie die Unterstützungsangebote der Berufsverbände.