Auch im Pflegeheim behalten Menschen ihre grundlegenden Rechte. Selbstbestimmung, Würde und Mitsprache sind keine Privilegien, sondern gesetzlich verankerte Ansprüche. Dieser Artikel erklärt, welche Rechte Heimbewohnerinnen und -bewohner in der Schweiz haben und wie diese im Alltag geschützt werden.
Grundlegende Rechte: Würde und Selbstbestimmung
Die Grundlage aller Rechte im Pflegeheim bildet die Bundesverfassung, insbesondere:
- Recht auf Würde (Art. 7 BV): Die Würde des Menschen ist unantastbar, auch bei Pflegebedürftigkeit
- Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV): Niemand darf gegen seinen Willen festgehalten oder eingeschränkt werden
- Recht auf Privatsphäre (Art. 13 BV): Schutz des Privatlebens, der Wohnung und der persönlichen Daten
- Recht auf Gleichbehandlung (Art. 8 BV): Keine Diskriminierung aufgrund von Alter, Behinderung oder Gesundheitszustand
Diese Rechte gelten auch dann, wenn jemand kognitiv eingeschränkt ist. Sie können nur unter sehr engen Voraussetzungen und mit rechtlicher Absicherung eingeschränkt werden.
Selbstbestimmung im Heim
Der Eintritt ins Pflegeheim bedeutet nicht den Verlust der Selbstbestimmung. Bewohnerinnen und Bewohner sind grundsätzlich mündige Bürgerinnen und Bürger mit allen damit verbundenen Rechten. Nur bei nachgewiesener Urteilsunfähigkeit und im Rahmen gesetzlicher Vorgaben darf stellvertretend entschieden werden.
Recht auf freie Arztwahl und medizinische Selbstbestimmung
Freie Arztwahl
Heimbewohnerinnen und -bewohner haben grundsätzlich das Recht, ihren Arzt oder ihre Ärztin frei zu wählen. Das gilt auch im Pflegeheim. Sie können:
- Ihren bisherigen Hausarzt oder ihre Hausärztin beibehalten (sofern dieser bereit ist, Hausbesuche im Heim zu machen)
- Zum Heimarzt oder zur Heimärztin wechseln (falls vorhanden)
- Einen anderen Arzt oder eine andere Ärztin wählen
In der Praxis ist es oft praktischer und günstiger, den Heimarzt zu wählen, da dieser regelmässig im Heim präsent ist. Die freie Wahl bleibt aber gewährleistet.
Medizinische Selbstbestimmung
Niemand darf zu medizinischen Massnahmen gezwungen werden. Das bedeutet konkret:
- Recht, Behandlungen abzulehnen (auch wenn sie medizinisch sinnvoll wären)
- Recht auf umfassende Aufklärung vor jeder Behandlung
- Recht auf Zweitmeinung bei wichtigen Entscheidungen
- Recht auf Patientenverfügung, die auch im Heim respektiert werden muss
Patientenverfügung und Vorsorgeauftrag
Eine Patientenverfügung bleibt auch im Pflegeheim gültig und muss vom Personal beachtet werden. Darin können Sie festlegen:
- Welche medizinischen Massnahmen Sie im Falle der Urteilsunfähigkeit wünschen oder ablehnen
- Wer für Sie entscheiden soll (Vertretungsperson)
- Ob Sie Reanimation wünschen oder nicht
- Ob Sie palliative (lindernde) oder maximale Behandlung bevorzugen
Es empfiehlt sich, eine Kopie der Patientenverfügung im Heim zu hinterlegen und mit dem Pflegeteam zu besprechen.
Recht auf Privatsphäre und Selbstbestimmung im Alltag
Privatsphäre im Zimmer
Das Zimmer im Pflegeheim ist der private Wohnraum der Bewohnerin oder des Bewohners. Das Personal muss die Privatsphäre respektieren:
- Anklopfen: Vor dem Betreten des Zimmers muss angeklopft werden
- Zustimmung: Niemand darf ohne Erlaubnis ins Zimmer kommen (ausser in Notfällen)
- Persönliche Gegenstände: Eigene Möbel, Bilder und persönliche Dinge dürfen mitgebracht und aufgestellt werden (sofern Platz vorhanden)
- Besuchsrecht: Bewohnerinnen und Bewohner dürfen Besuch empfangen, auch im Zimmer
Tagesgestaltung
Niemand kann gezwungen werden, an Aktivitäten teilzunehmen oder zu bestimmten Zeiten aufzustehen. Das bedeutet:
- Recht, länger zu schlafen oder früher aufzustehen
- Recht, Aktivitäten abzulehnen
- Recht auf Rückzug und Ruhe
- Recht, den Tag selbst zu gestalten (soweit gesundheitlich möglich)
Kleidung und Erscheinungsbild
- Recht, eigene Kleidung zu tragen (keine "Heimkleidung")
- Recht auf eigene Frisur, Bart, Make-up
- Recht auf angemessene Pflege des äusseren Erscheinungsbilds
Kommunikation und Kontakte
- Recht auf Telefon, Post, E-Mail ohne Kontrolle
- Recht auf Besuch ohne Einschränkung (ausser bei medizinischen Gründen wie Infektionsschutz)
- Recht auf Kontakt mit Angehörigen und Freunden
Sexualität und Partnerschaft
Auch im Pflegeheim haben Menschen das Recht auf Sexualität und Partnerschaft. Das umfasst:
- Recht auf Intimität mit dem Partner oder der Partnerin
- Recht auf Privatsphäre im Zimmer
- Respektvoller Umgang mit sexuellen Bedürfnissen
Moderne Pflegeheime respektieren diese Rechte und schaffen Rahmenbedingungen dafür (z.B. Doppelzimmer für Paare, Privatsphäre bei Besuch).
Recht auf Information und Mitbestimmung
Transparenz in der Pflege
Bewohnerinnen und Bewohner haben das Recht zu wissen, was mit ihnen geschieht:
- Recht auf Einsicht in die Pflegedokumentation
- Recht auf Erklärung von Pflegemassnahmen
- Recht auf Information über Medikamente und deren Nebenwirkungen
- Recht auf Teilnahme an Pflegeplanungsgesprächen
Mitsprache bei organisatorischen Fragen
Viele Heime haben Heimbeiräte oder Bewohnervertretungen, in denen Bewohnerinnen und Bewohner Anliegen einbringen können. Typische Themen:
- Menüplanung und Essensqualität
- Aktivitätenprogramm
- Öffnungszeiten von Gemeinschaftsräumen
- Bauliche Veränderungen
Auch ohne formellen Beirat haben Bewohnerinnen und Bewohner das Recht, ihre Meinung zu äussern und Verbesserungsvorschläge einzubringen.
Schutz vor freiheitsbeschränkenden Massnahmen
Freiheitsbeschränkende Massnahmen (z.B. Bettgitter, Fixierung, Sedierung) sind nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig. Das Gesetz sieht vor:
Voraussetzungen für Freiheitsbeschränkungen
- Selbst- oder Fremdgefährdung: Es muss eine konkrete, ernsthafte Gefahr bestehen
- Verhältnismässigkeit: Es darf keine mildere Massnahme geben
- Befristung: Die Massnahme muss zeitlich begrenzt sein
- Dokumentation: Grund, Art und Dauer müssen dokumentiert werden
- KESB-Meldung: Bei dauerhaften Massnahmen muss die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) informiert und um Genehmigung gebeten werden
Nicht zulässig sind
- Freiheitsbeschränkungen aus reinen Bequemlichkeitsgründen (z.B. Personalmangel)
- Medikamentöse Ruhigstellung ohne medizinische Indikation
- Dauerhafte Fixierung ohne KESB-Genehmigung
- Zwangsmassnahmen als "Strafe" für unkooperatives Verhalten
Wichtig für Angehörige
Wenn Sie beobachten, dass eine Bewohnerin oder ein Bewohner regelmässig fixiert, sediert oder anderweitig in der Freiheit eingeschränkt wird, fragen Sie nach der Begründung und verlangen Sie Einsicht in die Dokumentation. Wenn die Massnahme nicht nachvollziehbar oder unverhältnismässig erscheint, können Sie sich an die Heimleitung, die kantonale Aufsichtsbehörde oder die KESB wenden.
Recht auf Beschwerden und Rechtsschutz
Bewohnerinnen und Bewohner (sowie deren Angehörige) haben das Recht, Beschwerden einzureichen, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen oder Missstände beobachten. Anlaufstellen sind:
- Heimleitung: Erste Anlaufstelle bei Problemen
- Heimbeirat oder Bewohnervertretung: Vermittlung bei Konflikten
- Kantonale Aufsichtsbehörde: Prüfung von Beschwerden und Einleitung von Inspektionen
- Ombudsstellen: Unabhängige Beratung und Vermittlung (siehe separater Artikel)
- KESB: Bei Gefährdung von urteilsunfähigen Personen
- Gerichte: Bei schweren Verstössen oder Schadenersatzansprüchen
Mehr Informationen zu Beschwerdewegen finden Sie im Artikel Beschwerdewege und Ombudsstellen.
Besondere Rechte bei Demenz und Urteilsunfähigkeit
Auch Menschen mit Demenz oder anderen kognitiven Einschränkungen behalten ihre Grundrechte. Allerdings gibt es besondere Regelungen:
Vertretungsrecht
Wenn jemand urteilsunfähig ist, entscheiden gesetzlich festgelegte Personen stellvertretend:
- In der Patientenverfügung bezeichnete Vertretungsperson
- Vom Gericht ernannter Beistand (KESB)
- Ehepartner oder eingetragener Partner
- Zusammenlebende Person mit faktischer Lebensgemeinschaft
- Nachkommen
- Eltern
- Geschwister
Schutz der Rechte
Auch bei Urteilsunfähigkeit gelten:
- Recht auf würdevolle Behandlung
- Recht auf Respekt der Persönlichkeit und Biografie
- Soweit möglich: Einbezug in Entscheidungen (z.B. durch nonverbale Zeichen)
- Schutz vor Übergriffen und Missbrauch
Heimvertrag: Rechte und Pflichten
Der Heimvertrag regelt die Rechtsbeziehung zwischen Bewohnerin/Bewohner und Heim. Er sollte klar festhalten:
- Art und Umfang der Leistungen
- Kosten und Zahlungsmodalitäten
- Kündigungsfristen und -bedingungen
- Rechte und Pflichten beider Seiten
Wichtig: Der Vertrag darf keine Klauseln enthalten, die grundlegende Rechte einschränken (z.B. generelles Besuchsverbot, Verzicht auf freie Arztwahl). Solche Klauseln wären rechtlich unwirksam.
Tipp
Lassen Sie den Heimvertrag vor der Unterzeichnung von einer vertrauten Person oder einer Beratungsstelle (z.B. Pro Senectute, Patientenstelle) prüfen. Achten Sie besonders auf Kündigungsklauseln, Kostentransparenz und Haftungsausschlüsse.
Fazit: Rechte kennen und einfordern
Heimbewohnerinnen und -bewohner in der Schweiz haben umfassende Rechte, die gesetzlich geschützt sind. Der Eintritt ins Pflegeheim bedeutet nicht den Verlust der Selbstbestimmung. Wichtig ist, diese Rechte zu kennen, aktiv einzufordern und bei Verstössen die verfügbaren Beschwerdewege zu nutzen.
Angehörige spielen eine wichtige Rolle dabei, die Rechte von Heimbewohnern zu schützen, besonders dann, wenn diese sich nicht mehr selbst äussern können. Eine offene Kommunikation mit dem Pflegeheim, regelmässige Besuche und ein wachsames Auge tragen dazu bei, dass die Würde und Selbstbestimmung im Alter gewahrt bleiben.