Die neue Rolle als Besucher
Mit dem Heimeinzug verändert sich Ihre Rolle grundlegend. Sie sind nicht mehr hauptverantwortlich für die Pflege und Versorgung, sondern vor allem Tochter, Sohn oder andere nahestehende Person. Diese Veränderung ist eine Chance: Sie können sich wieder mehr auf die Beziehung konzentrieren.
Gleichzeitig verunsichert diese neue Situation viele Angehörige. Was früher selbstverständlich war, etwa zusammen kochen, gemeinsam fernsehen oder alltägliche Gespräche führen, funktioniert im Heim anders. Viele Besucherinnen und Besucher berichten, dass sie anfangs nicht recht wissen, wie sie die Zeit füllen sollen.
Qualität statt Quantität
Es geht nicht darum, möglichst viel Zeit im Heim zu verbringen. Regelmässige, aber nicht zu lange Besuche sind oft wertvoller als seltene, lange Aufenthalte. Eine Stunde aufmerksame, gemeinsame Zeit ist mehr wert als drei Stunden nebenbei am Handy.
Den richtigen Besuchsrhythmus finden
Wie oft besuchen?
Es gibt keine allgemeingültige Regel, wie oft Sie besuchen sollten. Das hängt von vielen Faktoren ab: Wie weit ist das Heim entfernt? Wie sind Ihre beruflichen und familiären Verpflichtungen? Was braucht Ihr Angehöriger? Was tut Ihnen selbst gut?
Mögliche Rhythmen:
- Täglich kurz: 30 bis 60 Minuten, wenn Sie in der Nähe wohnen und Zeit haben
- Mehrmals pro Woche: Zum Beispiel dreimal eine Stunde, ein guter Kompromiss für viele
- Wöchentlich ausgiebig: Ein halber Tag am Wochenende, wenn die Distanz grösser ist
- Flexibel nach Bedarf: Manche Bewohner brauchen mehr, andere weniger Besuch
Wichtig ist: Finden Sie einen Rhythmus, der für Sie tragbar ist und den Sie langfristig durchhalten können. Zu hohe Erwartungen führen zu Schuldgefühlen, wenn Sie sie nicht erfüllen können.
Die beste Besuchszeit
Der Zeitpunkt des Besuchs kann einen grossen Unterschied machen:
- Vormittags: Viele ältere Menschen sind vormittags fitter und aufnahmefähiger
- Zu den Mahlzeiten: Gemeinsames Essen schafft Normalität und Gesprächsanlässe
- Nachmittags: Zeit für Spaziergänge oder Aktivitäten
- Abends: Kann gemütlich sein, manche werden aber müde oder unruhig
Beobachten Sie, wann Ihr Angehöriger in guter Verfassung ist, und passen Sie Ihre Besuche entsprechend an. Fragen Sie auch das Personal nach ihrer Einschätzung.
Besuchszeiten abstimmen
Wenn mehrere Personen regelmässig besuchen, koordinieren Sie sich. Tägliche Besuche verschiedener Personen können überfordern. Verteilen Sie sich über die Woche, sodass Ihr Angehöriger regelmässig, aber nicht zu häufig Besuch hat.
Ideen für die Besuchsgestaltung
Gemeinsame Aktivitäten
Besuche müssen nicht nur aus Gesprächen bestehen. Gemeinsame Aktivitäten schaffen Erlebnisse und Gesprächsanlässe.
Aktivitäten im Zimmer:
- Fotoalben anschauen: Erinnerungen teilen, Geschichten erzählen
- Gemeinsam lesen: Zeitungen, Zeitschriften, Lieblingsbücher vorlesen
- Einfache Spiele: Karten, Eile mit Weile, Memory, Puzzle
- Musik hören: Lieblingsmusik von früher weckt Emotionen und Erinnerungen
- Handarbeiten: Stricken, Wolle wickeln, Blumen arrangieren
- Zusammen essen: Lieblingskuchen mitbringen und gemeinsam geniessen
Aktivitäten ausserhalb des Zimmers:
- Spaziergänge: Im Garten, um den Block, je nach Mobilität
- Ausflüge: Café-Besuch, Autofahrt, Besuch bei Freunden oder Familie
- Naturerlebnisse: Einfach draussen sitzen, Vögel beobachten, frische Luft geniessen
- Veranstaltungen besuchen: Konzerte, Gottesdienste, Märkte
- Gemeinsam einkaufen: Kleine Besorgungen als Ausflug gestalten
Gesprächsthemen finden
Vielen fällt es schwer, Gesprächsthemen zu finden, besonders wenn der Alltag im Heim recht eintönig ist. Hier einige Anregungen:
- Erzählen Sie aus Ihrem Alltag: Von der Arbeit, den Enkeln, kleinen Erlebnissen
- Stellen Sie offene Fragen: «Was hast du heute gemacht?» statt «War es schön?»
- Sprechen Sie über Vertrautes: Gemeinsame Erinnerungen, Familie, frühere Zeiten
- Aktuelle Themen: Nachrichten, Wetter, Jahreszeiten, lokale Ereignisse
- Bitten Sie um Rat: «Was würdest du in dieser Situation tun?»
- Planen Sie gemeinsam: Den nächsten Besuch, kleine Wünsche, Geburtstage
Bei Demenz sind Gespräche über die Vergangenheit oft leichter als über die Gegenwart. Alte Erinnerungen sind häufig noch gut erhalten und können Freude bereiten.
Praktische Hilfe anbieten
Auch kleine praktische Dienste sind wertvoll und geben Ihnen das Gefühl, nützlich zu sein:
- Kleidung sortieren, aussortieren, ergänzen
- Zimmer dekorieren, jahreszeitlich gestalten
- Blumen giessen, neue Pflanzen besorgen
- Bei Briefen oder Formularen helfen
- Kleine Besorgungen erledigen (Zeitschriften, Lieblingsschokolade)
- Technische Dinge regeln (Fernbedienung, Telefon, Radio)
Wenn Besuche schwierig sind
«Ich will nach Hause»
Viele Bewohner äussern bei Besuchen den Wunsch, nach Hause zu gehen. Das ist für Angehörige belastend und löst oft Schuldgefühle aus.
Hilfreiche Reaktionen:
- Nehmen Sie das Gefühl ernst: «Ich verstehe, dass du dein Zuhause vermisst.»
- Lenken Sie sanft ab: «Lass uns erst noch einen Kaffee trinken.»
- Sprechen Sie über schöne Erinnerungen an früher
- Vermeiden Sie lange Diskussionen über Gründe für den Heimaufenthalt
- Bei Demenz: Gehen Sie auf die Emotion ein, nicht auf die Sachlage
Manchmal hilft es, die Besuchszeit anzupassen. Manche Bewohner werden abends unruhiger, weshalb ein Vormittagsbesuch entspannter sein könnte.
Schweigende Besuche
Nicht jeder Besuch muss voller Gespräche sein. Stille kann auch wohltuend sein. Einfach gemeinsam dasitzen, Händchen halten, zusammen aus dem Fenster schauen: Auch das ist wertvolle gemeinsame Zeit.
Besonders bei fortgeschrittener Demenz wird nonverbale Kommunikation wichtiger: Berührungen, Blickkontakt, Lächeln, gemeinsames Singen.
Wenn Ihr Angehöriger schläft
Sie kommen zum Besuch und Ihr Angehöriger schläft. Sollen Sie gehen oder bleiben?
Das kommt darauf an: Ist es ein kurzer Mittagsschlaf, können Sie warten. Ist die Person sehr müde oder schläft generell viel, können Sie auch einfach kurz da sein, eine Notiz hinterlassen oder mit dem Personal sprechen. Ihre Anwesenheit zählt, auch wenn keine aktive Interaktion stattfindet.
Umgang mit Beschwerden
Manche Bewohner klagen bei jedem Besuch über das Heim, das Essen, das Personal. Das ist für Angehörige anstrengend.
Mögliche Strategien:
- Hören Sie zu, aber verlieren Sie sich nicht in endlosen Klageliedern
- Prüfen Sie berechtigte Beschwerden und sprechen Sie sie mit dem Personal an
- Lenken Sie auf positive Themen: «Was war heute schön?»
- Setzen Sie Grenzen: «Ich höre mir das jetzt an, dann sprechen wir über etwas anderes.»
- Verstehen Sie: Klagen kann auch Ausdruck von Trauer oder Kontrollverlust sein
Einbindung anderer
Enkel und Kinder mitnehmen
Besuche von Enkeln oder Urenkeln sind oft ein Highlight. Kinder bringen Leben und Freude ins Heim.
Tipps für Besuche mit Kindern:
- Bereiten Sie Kinder vor: Was erwartet sie? Wie sollen sie sich verhalten?
- Kurze Besuche: Kinder können meist nicht lange stillsitzen
- Aktivitäten mitbringen: Malbuch, einfache Spiele, Bilderbücher
- Kinder erzählen lassen: Von der Schule, Hobbys, Freunden
- Gemeinsam etwas tun: Basteln, Kuchen essen, spazieren gehen
- Nicht überfordern: Manche älteren Menschen ermüden schnell
Haustiere mitbringen
Viele Heime erlauben Tierbesuche. Der Besuch eines Hundes oder einer Katze kann grosse Freude bereiten, besonders wenn Ihr Angehöriger früher selbst Tiere hatte. Klären Sie vorher mit der Heimleitung ab, ob und unter welchen Bedingungen Tiere erlaubt sind.
Freunde einbeziehen
Ermutigen Sie auch Freunde und Bekannte Ihres Angehörigen zu Besuchen. Manchmal nehmen Freundschaften nach dem Heimeinzug ab, weil Freunde unsicher sind oder nicht stören wollen.
Teilen Sie Besuchszeiten mit, bieten Sie an, Freunde mitzunehmen oder abzuholen, oder organisieren Sie kleine gesellige Runden im Heim.
Auf sich selbst achten
Realistische Erwartungen
Sie müssen nicht bei jedem Besuch ein Programm bieten. Manchmal reicht es, einfach da zu sein. Nicht jeder Besuch wird fröhlich und erfüllend sein, und das ist in Ordnung.
Geben Sie sich selbst die Erlaubnis, auch mal einen Besuch abzusagen, wenn Sie krank oder überlastet sind. Ihr Wohlbefinden ist wichtig.
Schuldgefühle loslassen
Viele Angehörige plagen sich mit Gedanken wie «Ich sollte öfter kommen» oder «Ich bleibe nicht lang genug». Diese Schuldgefühle helfen niemandem. Wenn der innere Druck zu gross wird, können gezielte Methoden zur Auflösung von Ängsten und inneren Blockaden helfen, wieder zu mehr Gelassenheit zu finden.
Machen Sie sich bewusst: Sie tun, was Sie können. Das Wichtigste ist nicht die Quantität, sondern dass Sie kommen und da sind. Ihr Angehöriger spürt Ihre Zuneigung, auch bei kürzeren Besuchen.
Auszeiten nehmen
Sie dürfen auch mal in die Ferien fahren oder eine Zeit lang weniger besuchen, wenn Sie es brauchen. Besprechen Sie dies mit Ihrem Angehörigen und dem Personal, organisieren Sie allenfalls Ersatzbesuche durch andere Familienmitglieder oder Freiwilligendienste.
Mehr zum Thema Selbstfürsorge finden Sie in unserem Artikel über Angehörigenbelastung und Burnout.
Besondere Situationen
Besuche bei Demenz
Besuche bei Menschen mit Demenz erfordern besondere Aufmerksamkeit. Mehr dazu erfahren Sie in unserem Artikel Umgang mit Demenz.
Kurz zusammengefasst:
- Passen Sie sich dem Tempo und den Möglichkeiten an
- Nutzen Sie alle Sinne: Berührung, Musik, Gerüche, visuelle Reize
- Korrigieren Sie nicht ständig, gehen Sie auf die Realität Ihres Angehörigen ein
- Sprechen Sie über Gefühle, nicht nur über Fakten
- Wiederholen ist in Ordnung, auch Geschichten dürfen mehrfach erzählt werden
Besuche in der letzten Lebensphase
Wenn Ihr Angehöriger sich dem Lebensende nähert, ändern sich die Bedürfnisse noch einmal. Einfach da sein wird wichtiger als Aktivitäten. Ihre Anwesenheit, Berührungen und leise Worte: All das zählt.
Mehr dazu im Artikel Sterbebegleitung und Palliative Care.
Unterstützung durch das Heim
Scheuen Sie sich nicht, das Personal um Rat zu fragen. Die Mitarbeitenden kennen Ihren Angehörigen im Heimalltag und können Ihnen wertvolle Tipps geben, was gut ankommt, zu welchen Zeiten Besuche am besten passen oder welche Aktivitäten Freude machen.
Fazit: Beziehung neu gestalten
Besuche im Pflegeheim sind eine Chance, die Beziehung zu Ihrem Angehörigen neu zu gestalten. Sie sind nicht mehr in der Versorgungsrolle, sondern können wieder mehr Kind, Ehepartner oder Freund sein.
Es braucht Zeit, den richtigen Rhythmus und die passende Form für Besuche zu finden. Seien Sie geduldig mit sich selbst und Ihrem Angehörigen. Nicht jeder Besuch wird perfekt sein, und das muss er auch nicht.
Wichtig ist: Sie kommen. Sie zeigen, dass Ihr Angehöriger Ihnen wichtig ist. Sie teilen Zeit miteinander, ob beim Spaziergang, beim Kaffeetrinken, beim Schweigen oder beim Erinnern. Diese gemeinsame Zeit ist wertvoll, für beide Seiten.