Ergänzungsleistungen zur AHV und IV (EL) sind eine der wichtigsten staatlichen Unterstützungsleistungen in der Schweiz. Sie stellen sicher, dass Menschen, deren Renten und Einkommen nicht ausreichen, um die minimalen Lebenskosten zu decken, finanziell unterstützt werden. Besonders bei Pflegeheimkosten spielen Ergänzungsleistungen eine entscheidende Rolle, denn ohne sie könnten viele Menschen die hohen monatlichen Kosten von CHF 8'000 bis CHF 12'000 nicht stemmen.
Ergänzungsleistungen sind kein Almosen, sondern ein verfassungsmässiges Recht. Sie sind eine Sozialversicherungsleistung, auf die Sie Anspruch haben, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Anders als die Sozialhilfe müssen Sie Ergänzungsleistungen nicht zurückzahlen, und sie haben keinen Einfluss auf das Erbe Ihrer Nachkommen.
In diesem Artikel erfahren Sie Schritt für Schritt, wer Anspruch auf Ergänzungsleistungen hat, wie sie berechnet werden und wie Sie den Antrag korrekt stellen.
Was sind Ergänzungsleistungen?
Ergänzungsleistungen (EL) sind eine bedarfsabhängige Sozialversicherungsleistung, die das Existenzminimum sicherstellt. Sie ergänzen die AHV- oder IV-Rente, wenn diese zusammen mit anderen Einkünften nicht ausreichen, um die anerkannten Ausgaben zu decken. Die EL werden monatlich ausbezahlt und decken die Differenz zwischen den anerkannten Einnahmen und den anerkannten Ausgaben.
Es gibt zwei Arten von Ergänzungsleistungen:
- Jährliche Ergänzungsleistungen: Monatlich ausbezahlte Leistungen zur Deckung der laufenden Lebenskosten
- Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten: Zusätzliche Erstattung von Kosten, die nicht von der Krankenversicherung gedeckt sind (z.B. Zahnbehandlungen, Franchise, Selbstbehalt)
Wer hat Anspruch auf Ergänzungsleistungen?
Um Ergänzungsleistungen zu erhalten, müssen Sie folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Wohnsitz in der Schweiz: Sie müssen in der Schweiz wohnhaft und zivilrechtlich hier domiziliert sein.
- AHV- oder IV-Rente: Sie beziehen eine Altersrente (AHV), eine Invalidenrente (IV), eine Witwenrente, eine Waisenrente oder Sie haben Anspruch auf eine Hilflosenentschädigung der AHV oder IV.
- Schweizer Bürgerrecht oder Aufenthaltsbewilligung: Schweizer Bürgerinnen und Bürger haben immer Anspruch. Ausländische Staatsangehörige benötigen eine Niederlassungsbewilligung (C-Ausweis) oder eine Aufenthaltsbewilligung (B-Ausweis), sofern sie mindestens zehn Jahre ununterbrochen in der Schweiz gelebt haben (für EU/EFTA-Bürger gelten Sonderregelungen).
- Finanzielle Bedürftigkeit: Ihre anerkannten Ausgaben übersteigen Ihre anerkannten Einnahmen.
Wichtig: Antrag so früh wie möglich stellen
Ergänzungsleistungen werden frühestens ab dem Monat ausgerichtet, in dem der Antrag eingereicht wurde. Eine rückwirkende Auszahlung für vergangene Monate ist nur in sehr eingeschränkten Ausnahmefällen möglich. Stellen Sie den Antrag daher so früh wie möglich, idealerweise bereits vor dem Heimeintritt.
Berechnung der Ergänzungsleistungen: So funktioniert's
Die Höhe der Ergänzungsleistungen wird individuell berechnet, indem die anerkannten Ausgaben den anerkannten Einnahmen gegenübergestellt werden. Die Differenz bildet die jährliche Ergänzungsleistung.
Formel: Anerkannte Ausgaben minus anerkannte Einnahmen = Jährliche Ergänzungsleistung
Anerkannte Ausgaben
Folgende Ausgaben werden bei der Berechnung berücksichtigt:
- Im Pflegeheim: Die tatsächlichen Kosten des Heimaufenthalts, jedoch maximal CHF 108'000 pro Jahr (Limite 2024, kann kantonal variieren)
- Krankenkassenprämie: Die durchschnittliche Prämie für die obligatorische Krankenversicherung im Wohnkanton
- Pauschalbetrag für persönliche Auslagen: CHF 3'735 pro Jahr (Stand 2024) für Kleider, Schuhe, Körperpflege, Telefon, etc.
Anerkannte Einnahmen
Folgende Einnahmen werden angerechnet:
- AHV- oder IV-Rente: Die gesamte Rentenzahlung
- Pensionskassenrente: Falls vorhanden
- Vermögensverzehr: Ein Zehntel des Vermögens, das den Freibetrag übersteigt (CHF 37'500 für Alleinstehende, CHF 60'000 für Ehepaare, Stand 2024)
- Andere Einkünfte: Erwerbseinkommen, Unterhaltszahlungen, Kapitaleinkünfte, etc.
Vermögensfreibeträge (Stand 2024)
- Alleinstehende: CHF 37'500
- Ehepaare: CHF 60'000
- Zusätzlich pro Kind: CHF 15'000
Vermögen oberhalb dieser Freibeträge wird zu einem Zehntel als Einnahme angerechnet. Liegenschaftsvermögen (z.B. das selbstbewohnte Eigenheim) wird unter bestimmten Bedingungen geschützt, wenn der Ehepartner noch darin wohnt.
Praktisches Berechnungsbeispiel
Situation: Frau Müller, 82 Jahre, alleinstehend, lebt in einem Pflegeheim. Die monatlichen Heimkosten betragen CHF 9'500 (CHF 114'000/Jahr).
Anerkannte Ausgaben pro Jahr:
- Heimkosten: CHF 108'000 (maximale Limite)
- Krankenkassenprämie: CHF 5'400
- Pauschalbetrag persönliche Auslagen: CHF 3'735
- Total Ausgaben: CHF 117'135
Anerkannte Einnahmen pro Jahr:
- AHV-Rente: CHF 28'680 (CHF 2'390/Monat)
- Pensionskassenrente: CHF 6'000 (CHF 500/Monat)
- Vermögen: CHF 50'000 (CHF 12'500 über Freibetrag → CHF 1'250 Vermögensverzehr)
- Total Einnahmen: CHF 35'930
Berechnung:
CHF 117'135 (Ausgaben) minus CHF 35'930 (Einnahmen) = CHF 81'205 jährliche Ergänzungsleistung
Das entspricht rund CHF 6'767 pro Monat.
Frau Müller erhält also monatlich CHF 6'767 an Ergänzungsleistungen, zusätzlich zu ihrer AHV- und Pensionskassenrente. Damit sind ihre Pflegeheimkosten vollständig gedeckt.
Schritt für Schritt: So beantragen Sie Ergänzungsleistungen
Schritt 1: Informationen einholen
Kontaktieren Sie die kantonale AHV/IV-Stelle (auch «Ausgleichskasse» genannt) oder die Gemeinde. Dort erhalten Sie das Antragsformular sowie Informationen zu den erforderlichen Unterlagen.
Schritt 2: Antragsformular ausfüllen
Das Formular verlangt Angaben zu Ihrer persönlichen Situation, Ihren Einnahmen, Ihrem Vermögen und Ihren Ausgaben. Seien Sie präzise und vollständig. Fehlende Angaben verzögern die Bearbeitung.
Schritt 3: Unterlagen zusammenstellen
Folgende Dokumente werden in der Regel benötigt:
- Kopie der AHV/IV-Rentenverfügung
- Kopie der letzten Krankenkassenprämienrechnung
- Nachweis über Vermögenswerte (Bankkonten, Wertschriften, Lebensversicherungen)
- Heimvertrag mit detaillierter Kostenaufstellung
- Falls vorhanden: Pensionskassenausweis, Mietverträge, Hypothekenbelege
Schritt 4: Antrag einreichen
Senden Sie das vollständig ausgefüllte Formular mit allen Unterlagen an die zuständige AHV/IV-Stelle. Bewahren Sie Kopien aller Dokumente auf.
Schritt 5: Verfügung abwarten
Die AHV/IV-Stelle prüft Ihren Antrag und erlässt eine schriftliche Verfügung. Diese teilt Ihnen mit, ob und in welcher Höhe Sie Ergänzungsleistungen erhalten. Die Bearbeitungszeit beträgt in der Regel 4 bis 8 Wochen.
Schritt 6: Bei Ablehnung: Einsprache erheben
Falls Ihr Antrag abgelehnt wird oder Sie mit der Höhe der Leistungen nicht einverstanden sind, können Sie innerhalb von 30 Tagen Einsprache erheben. Lassen Sie sich dabei von einer Sozialberatungsstelle oder Pro Senectute unterstützen.
Tipp: Unterstützung holen
Das Ausfüllen des Antragsformulars kann komplex sein. Zögern Sie nicht, Hilfe zu suchen. Pro Senectute, Gemeinde-Sozialberatungsstellen und kantonale AHV-Stellen bieten kostenlose Unterstützung beim Ausfüllen des Antrags an.
Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten
Zusätzlich zur jährlichen Ergänzungsleistung können Sie die Vergütung von Krankheits- und Behinderungskosten beantragen. Diese deckt Kosten, die nicht von der Krankenversicherung übernommen werden, wie:
- Franchise und Selbstbehalt der Krankenkasse
- Zahnbehandlungen
- Brillen und Hörgeräte
- Hilfsmittel (z.B. Rollstuhl, Pflegebett)
- Transportkosten zu Arztbesuchen
Die Vergütung dieser Kosten erfolgt auf Gesuch hin und ist jährlich begrenzt (z.B. CHF 25'000 für Zahnbehandlungen). Bewahren Sie alle Rechnungen und Belege auf und reichen Sie diese zusammen mit dem Gesuch ein.
Vermögensverzehr: Was Sie wissen müssen
Ein zentraler Punkt bei den Ergänzungsleistungen ist der Vermögensverzehr. Sie müssen Ihr Vermögen bis auf den gesetzlichen Freibetrag (CHF 37'500 für Alleinstehende) aufbrauchen, bevor Sie den vollen EL-Anspruch haben.
Das bedeutet: Wenn Sie CHF 100'000 auf dem Konto haben, werden CHF 62'500 (CHF 100'000 - CHF 37'500) als «überschüssiges Vermögen» betrachtet. Ein Zehntel davon, also CHF 6'250, wird als jährliche Einnahme angerechnet, was Ihre Ergänzungsleistungen entsprechend reduziert.
Im Laufe der Jahre verringert sich Ihr Vermögen, und damit steigen Ihre Ergänzungsleistungen. Dies ist keine Ungerechtigkeit, sondern ein bewusstes Prinzip: Sie sollen zunächst Ihr eigenes Vermögen für Ihre Pflege verwenden, bevor die Allgemeinheit einspringt.
Häufige Fragen
Muss ich Ergänzungsleistungen zurückzahlen?
Nein, Ergänzungsleistungen müssen Sie grundsätzlich nicht zurückzahlen. Anders als die Sozialhilfe sind EL ein Rechtsanspruch. Nur wenn Sie unrechtmässig (z.B. durch falsche Angaben) Leistungen bezogen haben, kann eine Rückforderung erfolgen.
Können meine Erben zur Kasse gebeten werden?
Nein, Ergänzungsleistungen belasten das Erbe nicht. Sie müssen von den Erben nicht zurückgezahlt werden.
Was passiert, wenn sich meine finanzielle Situation ändert?
Ihre Ergänzungsleistungen werden jährlich neu berechnet. Wenn sich Ihre Einnahmen, Ihr Vermögen oder Ihre Ausgaben ändern, werden die Leistungen angepasst. Sie sind verpflichtet, Änderungen der AHV/IV-Stelle zu melden.
Fazit: Ergänzungsleistungen sind ein Rechtsanspruch, nutzen Sie ihn!
Ergänzungsleistungen sind eine zentrale Säule der sozialen Sicherheit in der Schweiz. Sie stellen sicher, dass niemand aufgrund von Pflegekosten in finanzielle Not gerät. Wenn Ihre Rente und Ihr Vermögen nicht ausreichen, um die Pflegeheimkosten zu decken, haben Sie einen gesetzlichen Anspruch auf Unterstützung.
Wichtig ist, den Antrag frühzeitig zu stellen und sich nicht scheuen, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ergänzungsleistungen sind kein Almosen, sondern ein verfassungsmässiges Recht. Nutzen Sie es, um Ihre finanzielle Sicherheit zu gewährleisten und Ihren Lebensabend in Würde zu verbringen.
Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr
Die genannten Beträge und Anspruchsvoraussetzungen dienen als Richtwerte (Stand 2025). Das Sozialversicherungssystem unterliegt regelmässigen Änderungen. Ihre tatsächlichen Ansprüche hängen von individuellen Faktoren wie Wohnkanton, Vermögen und persönlichen Umständen ab. Für verbindliche Auskünfte wenden Sie sich an Ihre AHV/IV-Stelle oder eine anerkannte Beratungsstelle. Weitere Details finden Sie in unserem Haftungsausschluss.