Der Begriff Vermögensverzehr beschreibt die Verpflichtung, das eigene Vermögen zunächst für die Finanzierung der Pflegeheimkosten einzusetzen, bevor staatliche Unterstützung in Form von Ergänzungsleistungen (EL) gewährt wird. Diese Aufbrauchpflicht ist für viele Betroffene und ihre Angehörigen eine der grössten finanziellen Sorgen beim Eintritt ins Pflegeheim.
In diesem Artikel erfahren Sie, was Vermögensverzehr genau bedeutet, welche Freibeträge und Schonvermögen gelten, wie Immobilien behandelt werden und welche Strategien Sie nutzen können, um Ihr Vermögen verantwortungsvoll zu planen. Ein fundiertes Verständnis hilft Ihnen, finanzielle Fehler zu vermeiden und Ihre Rechte optimal zu nutzen.
Was ist Vermögensverzehr?
Vermögensverzehr bedeutet, dass Sie Ihr vorhandenes Vermögen zur Deckung der Pflegeheimkosten einsetzen müssen, bevor Sie Anspruch auf Ergänzungsleistungen haben. Die Ergänzungsleistungen sind eine subsidiäre Leistung, das heisst, sie greifen erst, wenn Ihre eigenen finanziellen Mittel nicht ausreichen.
Das schweizerische Sozialversicherungssystem basiert auf dem Subsidiaritätsprinzip: Erst die eigenen Mittel, dann die Familie (im Rahmen der gesetzlichen Unterstützungspflicht), dann der Staat. Der Vermögensverzehr ist daher kein „Nachteil", sondern ein integraler Bestandteil des Systems, das sicherstellt, dass staatliche Mittel gezielt dort eingesetzt werden, wo sie wirklich benötigt werden.
Grundprinzip
Sie müssen Ihr Vermögen bis auf einen gesetzlich geschützten Freibetrag aufbrauchen, bevor Sie Ergänzungsleistungen erhalten. Dieser Freibetrag stellt sicher, dass Sie nicht völlig mittellos werden und eine gewisse finanzielle Reserve behalten.
Vermögensfreibeträge: Was bleibt geschützt?
Nicht Ihr gesamtes Vermögen muss aufgebraucht werden. Es gibt gesetzlich festgelegte Freibeträge (auch „Schonvermögen" genannt), die vor dem Verzehr geschützt sind. Diese Freibeträge werden regelmässig angepasst und variieren je nach Lebenssituation.
Freibeträge für Personen in Heimen (Stand 2024)
Für Personen, die in einem Pflegeheim leben, gelten folgende Vermögensfreibeträge:
- Alleinstehende im Heim: CHF 37'500
- Verheiratete, beide im Heim: CHF 60'000 (gemeinsam)
- Verheiratete, nur eine Person im Heim: CHF 60'000 (für das Ehepaar), wobei der zu Hause lebende Partner zusätzliche Freibeträge geltend machen kann
Diese Freibeträge bedeuten: Wenn Ihr Vermögen diese Schwelle nicht übersteigt, müssen Sie es nicht für die Pflegeheimkosten einsetzen. Sobald Ihr Vermögen jedoch darüber liegt, wird der übersteigende Betrag in die Berechnung der Ergänzungsleistungen einbezogen.
Anrechnung des übersteigenden Vermögens
Das Vermögen, das die Freibeträge übersteigt, wird nicht sofort vollständig eingezogen. Stattdessen wird ein jährlicher Verzehr von 1/10 (10%) des übersteigenden Vermögens pro Jahr bei Alleinstehenden und 1/15 (ca. 6,7%) bei Ehepaaren angerechnet. Dieser Betrag wird als fiktives Einkommen betrachtet und reduziert den Anspruch auf Ergänzungsleistungen entsprechend.
Beispiel: Eine alleinstehende Person hat CHF 87'500 Vermögen. Der Freibetrag beträgt CHF 37'500. Das übersteigende Vermögen beträgt somit CHF 50'000. Davon wird jährlich 1/10, also CHF 5'000, als fiktives Einkommen angerechnet. Dies reduziert die Ergänzungsleistungen um CHF 5'000 pro Jahr (rund CHF 417 pro Monat).
| Personenkreis | Vermögensfreibetrag | Verzehrrate pro Jahr |
|---|---|---|
| Alleinstehende im Heim | CHF 37'500 | 1/10 (10%) |
| Ehepaare, beide im Heim | CHF 60'000 | 1/15 (6,7%) |
| Ehepaare, eine Person im Heim | CHF 60'000 + erhöhte Freibeträge | 1/15 (6,7%) |
Immobilien: Selbstbewohntes Wohneigentum und Mietobjekte
Die Behandlung von Immobilien beim Vermögensverzehr ist ein komplexes und emotional belastetes Thema. Viele Menschen möchten ihr Haus oder ihre Wohnung für die Familie erhalten und fragen sich, ob sie verkauft werden muss.
Selbstbewohntes Wohneigentum
Wenn Sie vor dem Heimeintritt in Ihrem eigenen Haus oder Ihrer eigenen Wohnung gewohnt haben, wird diese Immobilie grundsätzlich als Vermögen betrachtet. Allerdings gibt es wichtige Ausnahmen:
- Der Ehepartner wohnt weiterhin darin: Wenn Ihr Ehepartner oder Ihre Ehepartnerin nach Ihrem Heimeintritt weiterhin in der Immobilie lebt, wird diese in der Regel nicht zum Vermögensverzehr herangezogen. Das Wohneigentum bleibt geschützt, solange es vom Partner bewohnt wird.
- Kinder oder andere Angehörige wohnen darin: In gewissen Kantonen kann auch die Nutzung durch Kinder oder andere nahestehende Personen eine Rolle spielen, allerdings ist dies kantonal unterschiedlich geregelt.
- Verkauf wird erwartet: Wenn weder der Partner noch andere berechtigte Personen in der Immobilie wohnen, kann der Verkauf erwartet werden. Der Erlös wird dann als Vermögen angerechnet.
Mietobjekte und Renditeliegenschaften
Mietobjekte, Ferienhäuser oder andere Renditeliegenschaften werden vollständig als Vermögen betrachtet und unterliegen dem Vermögensverzehr. Hier gibt es keine besonderen Schutzbestimmungen. Der Verkehrswert der Liegenschaft wird zum Vermögen hinzugerechnet.
Wichtig bei Immobilien
Lassen Sie sich frühzeitig beraten, wenn Sie Wohneigentum besitzen. Die kantonalen Regelungen unterscheiden sich, und es gibt legale Möglichkeiten, Ihre Immobilie zu schützen, ohne das Gesetz zu umgehen.
Schenkungen und vorzeitige Vermögensübertragungen
Viele Menschen überlegen, ob sie ihr Vermögen vor dem Heimeintritt an ihre Kinder oder andere Angehörige verschenken können, um es vor dem Vermögensverzehr zu schützen. Hier ist Vorsicht geboten: Das Gesetz sieht klare Regeln vor, um missbräuchliche Vermögensübertragungen zu verhindern.
10-Jahres-Regel bei Schenkungen
Schenkungen, die innerhalb der letzten 10 Jahre vor der Anmeldung für Ergänzungsleistungen erfolgt sind, werden teilweise oder vollständig zum Vermögen hinzugerechnet. Je länger die Schenkung zurückliegt, desto weniger wird angerechnet. Die Berechnung erfolgt gestaffelt: Im ersten Jahr nach der Schenkung wird fast der gesamte Betrag angerechnet, im zehnten Jahr nur noch ein kleiner Anteil.
Diese Regelung soll verhindern, dass Menschen ihr Vermögen kurz vor dem Heimeintritt „verschenken", um Ergänzungsleistungen zu erhalten, während das Vermögen de facto in der Familie bleibt.
Ausnahmen bei Schenkungen
Nicht alle Schenkungen unterliegen dieser Regel. Übliche Gelegenheitsgeschenke (Geburtstag, Hochzeit) oder kleinere Zuwendungen werden in der Regel nicht angerechnet. Ebenso können Schenkungen, die klar einen anderen Zweck hatten und nicht mit dem Ziel der Vermeidung des Vermögensverzehrs erfolgten, unter Umständen nicht angerechnet werden. Hier ist jedoch eine Einzelfallprüfung nötig.
Achtung vor „Notfall-Schenkungen"
Übertragen Sie Ihr Vermögen nicht überstürzt, nur um den Vermögensverzehr zu umgehen. Solche Schenkungen werden in der Regel erkannt und angerechnet. Zudem verlieren Sie die Kontrolle über Ihr Vermögen, was im Streitfall problematisch werden kann.
Strategien zur verantwortungsvollen Vermögensplanung
Auch wenn der Vermögensverzehr gesetzlich vorgeschrieben ist, gibt es legale und verantwortungsvolle Wege, Ihr Vermögen zu planen und zu schützen. Hier einige Strategien:
1. Frühzeitige Vermögensübertragung
Wenn Sie Ihr Vermögen rechtzeitig (mehr als 10 Jahre vor dem möglichen Heimeintritt) übertragen, unterliegt es nicht mehr der Anrechnung. Diese Strategie erfordert jedoch eine langfristige Planung und birgt Risiken: Sie verlieren die Verfügungsgewalt über Ihr Vermögen und sind auf die Kooperationsbereitschaft der Beschenkten angewiesen.
2. Nutzniessungsrecht bei Immobilien
Wenn Sie Ihre Immobilie frühzeitig an Ihre Kinder übertragen, können Sie sich ein Nutzniessungsrecht vorbehalten. Das bedeutet: Die Immobilie gehört rechtlich den Kindern, Sie dürfen aber weiterhin darin wohnen oder Mieteinnahmen beziehen. Dieses Modell schützt die Immobilie teilweise vor dem Vermögensverzehr, solange die Übertragung rechtzeitig erfolgt ist.
3. Lebensversicherungen und Säule 3a
Gebundene Vorsorgegelder (Säule 3a) und gewisse Lebensversicherungen sind unter bestimmten Bedingungen vor dem Vermögensverzehr geschützt, solange sie dem Vorsorgezweck dienen. Allerdings gibt es hier enge Grenzen, und nicht alle Vorsorgeprodukte geniessen diesen Schutz.
4. Professionelle Beratung nutzen
Die Vermögensplanung ist komplex und individuell. Lassen Sie sich frühzeitig von einer Fachperson (Sozialberater, Anwalt, Treuhänder) beraten, um legale Möglichkeiten auszuschöpfen und Fehler zu vermeiden. Pro Senectute bietet kostenlose Beratungen an, die speziell auf die Bedürfnisse älterer Menschen zugeschnitten sind.
Kantonale Unterschiede beim Vermögensverzehr
Die Grundregeln zum Vermögensverzehr sind bundesweit einheitlich geregelt. Allerdings gibt es kantonale Unterschiede bei der konkreten Umsetzung, insbesondere bei der Behandlung von Immobilien, der Bewertung von Schenkungen und der Höhe von zusätzlichen Freibeträgen.
Einige Kantone sind bei der Anrechnung von Vermögen strenger, andere grosszügiger. Es lohnt sich daher, die spezifischen Regelungen Ihres Wohnkantons zu kennen. Die kantonalen AHV/IV-Stellen oder Pro Senectute können Sie hierzu beraten.
Was passiert, wenn das Vermögen aufgebraucht ist?
Sobald Ihr Vermögen auf den Freibetrag gesunken ist, haben Sie vollen Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Die EL decken dann die Lücke zwischen Ihren Einnahmen (Rente, Hilflosenentschädigung) und den anerkannten Ausgaben (Pflegeheimkosten). Sie müssen sich keine Sorgen machen, dass Sie ohne Unterstützung dastehen, sobald Ihr Vermögen aufgebraucht ist.
Das schweizerische Sozialversicherungssystem stellt sicher, dass niemand die notwendige Pflege und Betreuung aus finanziellen Gründen verweigert wird. Der Vermögensverzehr ist Teil eines fairen Systems, das private Mittel und staatliche Unterstützung ausgewogen kombiniert.
Häufige Missverständnisse und Mythen
Rund um das Thema Vermögensverzehr kursieren viele Missverständnisse. Hier die wichtigsten Klarstellungen:
- Mythos: „Der Staat nimmt mir alles weg." Falsch. Es gibt klare Freibeträge, die geschützt sind. Zudem wird das Vermögen nicht eingezogen, sondern schrittweise angerechnet.
- Mythos: „Ich kann mein Vermögen kurz vor dem Heimeintritt an die Kinder übertragen." Falsch. Schenkungen der letzten 10 Jahre werden angerechnet.
- Mythos: „Wenn mein Partner noch zu Hause wohnt, verliere ich das Haus." Falsch. Solange der Partner in der Immobilie wohnt, bleibt sie in der Regel geschützt.
- Mythos: „Vermögensverzehr gilt nur für Reiche." Falsch. Der Vermögensverzehr betrifft alle, die über den Freibeträgen liegendes Vermögen besitzen, auch wenn es sich nur um CHF 50'000 oder CHF 100'000 handelt.
Fazit: Vermögensverzehr verstehen und planen
Der Vermögensverzehr ist ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung von Pflegeheimkosten in der Schweiz. Er stellt sicher, dass staatliche Unterstützung gezielt dort eingesetzt wird, wo sie wirklich benötigt wird, während gleichzeitig Freibeträge dafür sorgen, dass Sie nicht völlig mittellos werden.
Eine frühzeitige und verantwortungsvolle Vermögensplanung ist entscheidend, um finanzielle Überraschungen zu vermeiden und Ihr Vermögen bestmöglich zu schützen. Nutzen Sie professionelle Beratungsangebote, informieren Sie sich über kantonale Regelungen und planen Sie langfristig. So stellen Sie sicher, dass Sie und Ihre Familie finanziell abgesichert bleiben, auch wenn der Pflegefall eintritt.
Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr
Die genannten Beträge und Anspruchsvoraussetzungen dienen als Richtwerte (Stand 2025). Das Sozialversicherungssystem unterliegt regelmässigen Änderungen. Ihre tatsächlichen Ansprüche hängen von individuellen Faktoren wie Wohnkanton, Vermögen und persönlichen Umständen ab. Für verbindliche Auskünfte wenden Sie sich an Ihre AHV/IV-Stelle oder eine anerkannte Beratungsstelle. Weitere Details finden Sie in unserem Haftungsausschluss.