Die obligatorische Krankenversicherung (KVG) spielt eine zentrale Rolle bei der Finanzierung von Pflegeleistungen im Pflegeheim. Sie übernimmt einen gesetzlich festgelegten Anteil der Pflegekosten, unabhängig davon, ob die Pflege zu Hause oder im Pflegeheim erbracht wird. Doch viele Menschen sind überrascht, wenn sie feststellen, dass die Krankenkasse längst nicht alle Kosten deckt und dass sie selbst einen erheblichen Eigenanteil tragen müssen.
In diesem Artikel erfahren Sie, was genau die Krankenkasse übernimmt, wie die Pflegebeiträge nach Pflegestufen berechnet werden und welche Grenzen das Krankenversicherungsgesetz setzt. Dieses Wissen hilft Ihnen, realistische finanzielle Erwartungen zu entwickeln und Lücken frühzeitig zu erkennen.
Gesetzliche Grundlagen: Was deckt das KVG ab?
Das Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) verpflichtet alle in der Schweiz wohnhaften Personen zum Abschluss einer obligatorischen Grundversicherung. Diese Grundversicherung übernimmt einen definierten Anteil der Kosten für medizinisch notwendige Pflegeleistungen. Wichtig: Die Krankenkasse zahlt nur für die Pflege, nicht für Pension (Unterkunft und Verpflegung) oder Betreuung.
Die Pflegeleistungen werden gemäss einer Pflegebedarfsabklärung in zwölf Pflegestufen eingeteilt. Je höher die Pflegestufe, desto höher der Beitrag der Krankenkasse. Die Beiträge sind bundesweit einheitlich geregelt und werden regelmässig vom Bundesrat angepasst.
Wichtig: Dreifachfinanzierung der Pflege
Die Pflegekosten werden nicht allein von der Krankenkasse getragen. Sie werden durch drei Parteien finanziert:
- Krankenkasse (KVG): Gesetzlich festgelegter Beitrag je nach Pflegestufe
- Kanton: Substanzieller Beitrag, der oft höher ausfällt als der KVG-Beitrag
- Bewohnerin/Bewohner: Restkosten-Anteil, gesetzlich auf maximal CHF 21.60 pro Tag begrenzt
Die zwölf Pflegestufen und KVG-Beiträge
Die Pflegestufe wird aufgrund einer professionellen Pflegebedarfsabklärung festgelegt. Diese erfolgt in der Regel durch das Pflegeheim selbst oder durch eine beauftragte Fachstelle. Die Einstufung basiert auf dem Zeitaufwand, der für die medizinisch notwendige Pflege erforderlich ist.
Die zwölf Pflegestufen sind nach Pflegeminuten pro Tag gegliedert. Die Krankenkasse zahlt je nach Stufe einen unterschiedlichen Beitrag. Hier die aktuellen KVG-Beiträge pro Tag (Stand 2024):
| Pflegestufe | Pflegebedarf (Min./Tag) | KVG-Beitrag/Tag | KVG-Beitrag/Monat |
|---|---|---|---|
| Stufe 1 | bis 20 Min. | CHF 9.60 | CHF 288 |
| Stufe 2 | 21–40 Min. | CHF 19.20 | CHF 576 |
| Stufe 3 | 41–60 Min. | CHF 28.80 | CHF 864 |
| Stufe 4 | 61–80 Min. | CHF 38.40 | CHF 1'152 |
| Stufe 5 | 81–100 Min. | CHF 48.00 | CHF 1'440 |
| Stufe 6 | 101–120 Min. | CHF 57.60 | CHF 1'728 |
| Stufe 7 | 121–140 Min. | CHF 67.20 | CHF 2'016 |
| Stufe 8 | 141–160 Min. | CHF 76.80 | CHF 2'304 |
| Stufe 9 | 161–180 Min. | CHF 86.40 | CHF 2'592 |
| Stufe 10 | 181–200 Min. | CHF 96.00 | CHF 2'880 |
| Stufe 11 | 201–220 Min. | CHF 105.60 | CHF 3'168 |
| Stufe 12 | über 220 Min. | CHF 115.20 | CHF 3'456 |
Wie die Tabelle zeigt, steigt der KVG-Beitrag mit jeder Pflegestufe um CHF 9.60 pro Tag. Selbst in der höchsten Stufe (12) übernimmt die Krankenkasse jedoch nur rund CHF 3'456 pro Monat, also nur einen Bruchteil der Gesamtkosten, die ein Pflegeheimplatz verursacht.
Die Pflegebedarfsabklärung: Wie wird die Pflegestufe festgelegt?
Die Einstufung in eine Pflegestufe erfolgt aufgrund einer professionellen Pflegebedarfsabklärung. Diese wird in den meisten Kantonen durch das Pflegeheim selbst oder durch eine beauftragte Fachstelle durchgeführt. Die Abklärung berücksichtigt:
- Den tatsächlichen Pflegebedarf in Minuten pro Tag
- Die Art der benötigten Pflegeleistungen (z.B. Wundversorgung, Medikamentengabe, Mobilisation)
- Die Häufigkeit und Intensität der Pflegeeinsätze
- Den Gesundheitszustand und die Diagnosen der betroffenen Person
Wichtig: Die Pflegestufe ist nicht statisch. Sie wird regelmässig überprüft und kann sich ändern, wenn sich der Pflegebedarf erhöht oder verringert. Bei akuten Verschlechterungen des Gesundheitszustands kann eine Neueinstufung beantragt werden.
Tipp: Einstufung überprüfen lassen
Wenn Sie oder Ihre Angehörigen mit der Pflegestufe nicht einverstanden sind, können Sie eine Überprüfung verlangen. Wenden Sie sich dazu an das Pflegeheim oder die zuständige kantonale Stelle. Eine zu niedrige Einstufung bedeutet weniger Krankenkassen-Beitrag und damit höhere Kosten für Sie.
Was die Krankenkasse NICHT übernimmt
Es ist entscheidend zu verstehen, dass die obligatorische Krankenversicherung ausschliesslich für medizinisch notwendige Pflegeleistungen aufkommt. Folgende Kosten werden von der Krankenkasse nicht übernommen:
- Pensionskosten: Unterkunft, Verpflegung, Reinigung, Wäsche
- Betreuungskosten: Alltagshilfe, soziale Aktivierung, Begleitung
- Restkosten der Pflege: Der Anteil, der nach KVG- und kantonalem Beitrag übrig bleibt (maximal CHF 21.60/Tag)
- Komfortzuschläge: Einzelzimmer, besondere Ausstattung, zusätzliche Dienstleistungen
- Medikamente und Hilfsmittel: Diese werden separat über die Franchise und den Selbstbehalt abgerechnet
Die Summe dieser nicht gedeckten Kosten beläuft sich auf durchschnittlich CHF 6'000 bis CHF 9'000 pro Monat, die Sie selbst tragen müssen oder die durch Ergänzungsleistungen finanziert werden, sofern Sie anspruchsberechtigt sind.
Das Zusammenspiel von Krankenkasse, Kanton und Eigenanteil
Die Pflegekosten werden durch die sogenannte Dreifachfinanzierung gedeckt. Dabei tragen drei Parteien je einen Anteil:
1. Krankenkasse (KVG)
Übernimmt je nach Pflegestufe zwischen CHF 9.60 und CHF 115.20 pro Tag.
2. Kanton (Restfinanzierung)
Der Kanton ist gesetzlich verpflichtet, mindestens 20% der höchstens vom KVG anerkannten Pflegekosten zu übernehmen. In der Praxis übernehmen die meisten Kantone jedoch deutlich mehr, oft 40% bis 50% der Gesamtkosten. Die kantonalen Beiträge variieren erheblich zwischen den Kantonen.
3. Bewohnerin/Bewohner (Restkosten)
Der verbleibende Anteil wird als «Restkosten» bezeichnet und ist gesetzlich auf maximal CHF 21.60 pro Tag begrenzt. Dieser Betrag darf auch dann nicht überschritten werden, wenn die tatsächlichen Pflegekosten höher sind. Das ist ein wichtiger Schutz für Pflegebedürftige.
Praktisches Beispiel: Pflegestufe 8
Angenommen, eine Person ist in Pflegestufe 8 eingestuft. Die tatsächlichen Pflegekosten betragen CHF 180 pro Tag (ca. CHF 5'400/Monat). Die Aufteilung könnte folgendermassen aussehen:
- Krankenkasse (KVG): CHF 76.80/Tag (CHF 2'304/Monat)
- Kanton: CHF 81.60/Tag (CHF 2'448/Monat)
- Eigenanteil: CHF 21.60/Tag (CHF 648/Monat)
- Total: CHF 180/Tag (CHF 5'400/Monat)
Zusätzlich zu diesen CHF 648 Restkosten müssen Sie jedoch noch die Pensions- und Betreuungskosten von insgesamt rund CHF 5'000 bis CHF 8'000 pro Monat tragen. Die Gesamtbelastung liegt daher bei etwa CHF 6'000 bis CHF 9'000 pro Monat.
Abrechnung und Kostenerstattung
Die Pflegekosten werden direkt zwischen dem Pflegeheim und der Krankenkasse abgerechnet. Sie als Bewohnerin oder Bewohner erhalten eine monatliche Rechnung vom Pflegeheim, die Ihren Eigenanteil ausweist. Die Krankenkasse zahlt ihren Beitrag direkt an das Heim.
Wichtig: Sie müssen keine Vorleistung erbringen. Die Krankenkasse ist verpflichtet, ihren Anteil direkt an das Heim zu überweisen. Ihr Eigenanteil wird Ihnen separat in Rechnung gestellt.
Was tun bei finanziellen Engpässen?
Wenn Sie die Kosten nicht aus eigenen Mitteln decken können, stehen Ihnen verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten offen:
- Ergänzungsleistungen (EL): Decken die Lücke zwischen Einkommen/Vermögen und den anerkannten Ausgaben
- Hilflosenentschädigung: Zusätzliche Leistung der AHV/IV bei dauerhafter Hilfsbedürftigkeit
- Individuelle Prämienverbilligung: Reduktion der Krankenkassenprämien bei niedrigem Einkommen
- Sozialhilfe: Als letztes Netz, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind
Fazit: KVG deckt nur einen Teil der Pflegekosten
Die obligatorische Krankenversicherung (KVG) ist ein wichtiger, aber begrenzter Baustein in der Finanzierung von Pflegeheimkosten. Sie übernimmt je nach Pflegestufe zwischen CHF 288 und CHF 3'456 pro Monat, also nur einen Bruchteil der Gesamtkosten von durchschnittlich CHF 8'000 bis CHF 12'000.
Zusammen mit dem kantonalen Beitrag wird der grösste Teil der reinen Pflegekosten gedeckt. Ihr Eigenanteil an der Pflege ist auf maximal CHF 648 pro Monat begrenzt. Die Hauptlast tragen Sie jedoch durch die Pensions- und Betreuungskosten, die Sie vollständig selbst finanzieren müssen oder durch Ergänzungsleistungen abdecken lassen können.
Entscheidend ist, sich frühzeitig über die Kostenstruktur zu informieren und alle verfügbaren Unterstützungsleistungen auszuschöpfen. Die Krankenkasse allein wird die Pflegeheimkosten nicht decken.
Hinweis: Alle Angaben ohne Gewähr
Die genannten Beträge und Leistungen dienen als Richtwerte (Stand 2025). Das Krankenversicherungssystem unterliegt regelmässigen Änderungen. Für verbindliche Auskünfte wenden Sie sich an Ihre Krankenkasse oder die zuständige kantonale Stelle. Weitere Details finden Sie in unserem Haftungsausschluss.