Angehörige zu pflegen ist erfüllend, aber auch belastend. Über 600'000 Menschen in der Schweiz pflegen regelmässig Angehörige, oft neben Beruf und Familie. Die körperliche und emotionale Belastung ist enorm. Erschöpfung, Schlafmangel und soziale Isolation sind häufige Folgen.
Entlastungsangebote können hier Abhilfe schaffen. Sie geben pflegenden Angehörigen Pausen, ermöglichen Erholung und helfen, die Pflegesituation langfristig aufrechtzuerhalten. Doch welche Entlastungsangebote gibt es? Was kosten sie? Und wie finde ich das passende Angebot?
Warum ist Entlastung so wichtig?
Pflegende Angehörige leisten Enormes. Doch ohne regelmässige Entlastung droht Überlastung mit ernsten Folgen:
- Körperliche Erschöpfung: Rückenschmerzen, Schlafstörungen, geschwächtes Immunsystem
- Psychische Belastung: Dauerstress, Angststörungen, Depression, Burnout
- Soziale Isolation: Verlust von Freundschaften, keine Zeit für Hobbys
- Berufliche Nachteile: Reduziertes Arbeitspensum, Karriereeinbussen, finanzielle Einbussen
- Beziehungsprobleme: Spannungen mit Partner, Kindern oder der gepflegten Person
Studien zeigen: Pflegende Angehörige haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Gesundheitsprobleme. Regelmässige Entlastung ist daher nicht Luxus, sondern Notwendigkeit, und zwar für die Gesundheit der Pflegenden und die Qualität der Pflege.
Entlastung ist Verantwortung
Entlastung anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Verantwortung. Nur wer auf sich selbst achtet, kann langfristig für andere da sein.
Welche Entlastungsangebote gibt es?
Entlastungsangebote lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen:
1. Tagesstätten und Tagesstrukturen
Tagesstätten bieten pflegebedürftigen Personen tagsüber Betreuung, Aktivierung und soziale Kontakte.
Was wird angeboten:
- Beaufsichtigung und Betreuung durch Fachpersonal
- Gemeinsame Mahlzeiten
- Aktivierungsangebote (Spiele, Basteln, Musik, Bewegung)
- Soziale Kontakte mit anderen Teilnehmenden
- Bei Bedarf: Pflege und medizinische Betreuung
Für wen geeignet: Menschen mit Demenz, körperlichen Einschränkungen oder sozialer Isolation, die noch mobil sind oder transportiert werden können.
Zeitumfang: Typischerweise 1-5 Tage pro Woche, jeweils ca. 8-10 Stunden (z.B. 8:30-17:00 Uhr)
Kosten: CHF 80-150 pro Tag (inkl. Verpflegung, Transport oft extra CHF 15-30)
Kostenübernahme:
- Hilflosenentschädigung kann dafür verwendet werden
- Ergänzungsleistungen können Kosten ganz oder teilweise übernehmen
- Einige Gemeinden bieten Zuschüsse
- Pflegekosten-Anteil evtl. über Krankenkasse (bei ärztlicher Verordnung)
Wo finden: Pflegeheime, Alterszentren, spezialisierte Institutionen (z.B. Memory-Kliniken für Demenz)
2. Ferienbetten / Entlastungsbetten / Kurzzeitpflege
Vorübergehende stationäre Aufnahme der pflegebedürftigen Person in einem Pflegeheim oder Spital.
Wofür geeignet:
- Ferien für pflegende Angehörige
- Erholungspausen bei Erschöpfung
- Überbrückung von Notfällen (z.B. Krankheit des Angehörigen)
- Erprobung eines möglichen Heimeintritts
Zeitumfang: Wenige Tage bis mehrere Wochen (typisch: 1-4 Wochen)
Kosten: Wie regulärer Heimaufenthalt, ca. CHF 200-350 pro Tag (je nach Pflegebedarf und Zimmerkomfort)
Kostenübernahme:
- Krankenkasse übernimmt Pflegekosten (nach KLV)
- Betreuungskosten meist Eigenanteil (Hilflosenentschädigung kann verwendet werden)
- Bei knappen Mitteln: Ergänzungsleistungen
Wichtig: Ferienbetten sind oft Monate im Voraus ausgebucht, daher frühzeitig reservieren!
3. Besuchs- und Begleitdienste
Freiwillige oder bezahlte Personen besuchen regelmässig die pflegebedürftige Person zuhause.
Was wird angeboten:
- Gesellschaft und Gespräche
- Gemeinsame Aktivitäten (Spiele, Lesen, Musik hören)
- Spaziergänge oder Ausflüge
- Begleitung zu Terminen
Zeitumfang: Typischerweise 2-4 Stunden pro Woche
Kosten:
- Freiwillige Besuchsdienste: Oft kostenlos oder Unkostenbeitrag (z.B. CHF 10-20/Besuch)
- Professionelle Begleitdienste: CHF 30-50 pro Stunde
Anbieter:
- Pro Senectute (Besuchsdienst)
- Schweizerisches Rotes Kreuz (Entlastungsdienst)
- Kirchgemeinden und Freiwilligenorganisationen
- Private Betreuungsdienste
4. Entlastungsdienste zuhause
Fachpersonen oder geschulte Freiwillige übernehmen stundenweise die Betreuung zuhause, während Angehörige Zeit für sich haben.
Was wird angeboten:
- Beaufsichtigung der pflegebedürftigen Person
- Aktivierung und Beschäftigung
- Unterstützung bei leichten Tätigkeiten
- Evtl. einfache Pflegehandlungen
Zeitumfang: Flexibel, von 2 Stunden bis zu ganzen Tagen
Kosten: CHF 25-60 pro Stunde (je nach Qualifikation und Anbieter)
Anbieter: Rotes Kreuz, Spitex, private Betreuungsdienste
5. Selbsthilfegruppen und Gesprächsgruppen
Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen in ähnlicher Situation.
Nutzen:
- Emotionale Entlastung durch Austausch
- Praktische Tipps von Betroffenen
- Gefühl, nicht allein zu sein
- Neue Perspektiven und Bewältigungsstrategien
Kosten: Meist kostenlos
Anbieter: Alzheimer-Vereinigungen, Angehörigenvereine, Pro Senectute, kirchliche Organisationen
6. Beratung und Coaching
Professionelle Beratung zu Pflegefragen, Entlastung und Bewältigung.
Was wird angeboten:
- Individuelle Beratung zur Pflegesituation
- Information über Unterstützungsangebote
- Hilfe bei Antragstellung (Hilflosenentschädigung, EL, etc.)
- Psychologische Unterstützung bei Überlastung
- Coaching für Stressbewältigung
Kosten: Oft kostenlos (bei gemeinnützigen Organisationen), psychologische Beratung ca. CHF 150-200 pro Sitzung
Anbieter: Pro Senectute, Pro Infirmis, Spitex, Alzheimervereinigungen, psychologische Beratungsstellen
7. Notrufsysteme
Technische Hilfsmittel für mehr Sicherheit und Entlastung bei Sorgen.
Arten:
- Hausnotruf: Armband/Halskette mit Notrufknopf, verbunden mit Notrufzentrale
- Mobile Notrufsysteme: GPS-Notruf für unterwegs
- Sturzsensoren: Automatische Alarmierung bei Sturz
Kosten: CHF 30-60 Grundgebühr pro Monat, Installation ca. CHF 50-150
Nutzen: Beruhigung für Angehörige, schnelle Hilfe im Notfall, ermöglicht mehr Freiräume
Entlastung auch für die eigene Gesundheit
Die dauernde Belastung durch Pflege kann nicht nur körperlich, sondern auch psychisch stark belasten. Stressbewältigung und Entspannungstechniken können pflegenden Angehörigen helfen, besser mit der Situation umzugehen. Atemübungen, progressive Muskelentspannung oder achtsamkeitsbasierte Methoden reduzieren Stress und verbessern das Wohlbefinden. Viele Beratungsstellen bieten entsprechende Kurse an.
Wie finde ich das passende Entlastungsangebot?
1. Bedarfsanalyse
Welche Art von Entlastung brauchen Sie?
- Stundenweise Auszeiten für Erledigungen?
- Regelmässige freie Tage?
- Längere Erholungspausen/Ferien?
- Emotionaler Austausch und Unterstützung?
- Fachliche Beratung?
2. Angebote recherchieren
Wichtige Anlaufstellen:
- Pro Senectute: Beratung, Besuchsdienste, Entlastungsangebote
- Rotes Kreuz: Entlastungsdienste, Fahrdienste
- Spitex: Kann Entlastungsangebote vermitteln
- Alzheimervereinigungen: Spezialisierte Angebote bei Demenz
- Gemeinde/Kanton: Lokale Angebote und Zuschüsse
- Pflegeheime: Tagesstätten, Ferienbetten
3. Kosten klären
Prüfen Sie Finanzierungsmöglichkeiten:
- Hilflosenentschädigung (kann frei verwendet werden)
- Ergänzungsleistungen (bei knappem Einkommen)
- Gemeindliche Zuschüsse
- Krankenkasse (bei Pflegeleistungen)
- Steuerabzug (Betreuungskosten als Krankheitskosten)
4. Angebot ausprobieren
Viele Angebote können Sie unverbindlich kennenlernen. Nutzen Sie Schnuppertage oder Probeeinsätze.
5. Regelmässigkeit etablieren
Entlastung wirkt am besten, wenn sie regelmässig stattfindet, nicht erst, wenn die Kräfte am Ende sind.
Tipp: Frühzeitig beginnen
Warten Sie nicht, bis Sie völlig erschöpft sind. Präventive Entlastung ist viel wirksamer als Notfallmassnahmen. Ausserdem gewöhnt sich auch die pflegebedürftige Person besser an neue Personen, wenn noch keine Krisensituation besteht.
Finanzierung von Entlastungsangeboten
1. Hilflosenentschädigung der AHV/IV
Bei dauerhafter Hilfsbedürftigkeit zahlt die AHV eine monatliche Pauschale (Stand 2025):
- Leichte Hilflosigkeit: CHF 252/Monat
- Mittlere Hilflosigkeit: CHF 630/Monat
- Schwere Hilflosigkeit: CHF 1'008/Monat
Diese kann frei verwendet werden, auch für Entlastungsangebote.
2. Ergänzungsleistungen (EL)
Bei knappem Einkommen können über EL auch Kosten für Tagesstätten, Entlastungsdienste etc. geltend gemacht werden (als Krankheits- und Behinderungskosten).
3. Betreuungsgutschriften der AHV
Wer Angehörige pflegt, kann Betreuungsgutschriften bei der AHV geltend machen. Diese erhöhen die spätere AHV-Rente. Voraussetzung: Die betreute Person bezieht eine Hilflosenentschädigung.
4. Gemeindliche und kantonale Unterstützung
Viele Gemeinden und Kantone bieten Zuschüsse oder vergünstigte Angebote für pflegende Angehörige. Erkundigen Sie sich bei Ihrer Wohngemeinde.
5. Arbeitgeber
Einige Arbeitgeber bieten Unterstützung für pflegende Mitarbeitende:
- Flexible Arbeitszeiten
- Home-Office-Möglichkeiten
- Unbezahlter Pflegeurlaub
- Finanzielle Zuschüsse
Sprechen Sie mit Ihrem Arbeitgeber über Ihre Situation.
6. Steuerabzug
Kosten für Entlastungsangebote können bei der Steuererklärung als Krankheits- und Behinderungskosten abgezogen werden. Sammeln Sie alle Belege.
Rechtliche Ansprüche für pflegende Angehörige
Seit 2021 gibt es in der Schweiz einen gesetzlichen Anspruch auf Betreuungsurlaub:
- Kurzzeitiger Betreuungsurlaub: Bis zu 3 Tage pro Ereignis bei gesundheitlicher Beeinträchtigung eines Angehörigen (bezahlt)
- Längerer Betreuungsurlaub: Bis zu 14 Wochen für die Betreuung eines schwer kranken oder verunfallten Kindes unter 18 Jahren (mit Erwerbsersatzentschädigung von 80% des Lohns)
Für die Pflege erwachsener Angehöriger gibt es aktuell keinen gesetzlichen Anspruch auf bezahlten Pflegeurlaub über die 3 Tage hinaus. Einige Arbeitgeber bieten jedoch freiwillig längere Urlaubsmöglichkeiten.
Umgang mit Schuldgefühlen
Viele pflegende Angehörige haben Schuldgefühle, wenn sie Entlastung in Anspruch nehmen. Wichtige Gedanken:
- Entlastung ist keine Schwäche: Sie sind nicht verpflichtet, alles allein zu bewältigen
- Qualität statt Quantität: Erholte Angehörige können bessere Pflege leisten
- Langfristigkeit: Nur mit Pausen können Sie die Pflege langfristig aufrechterhalten
- Bereicherung für alle: Auch die pflegebedürftige Person profitiert von neuen Kontakten und Abwechslung
- Ihre Gesundheit zählt: Sie haben ein Recht auf eigene Bedürfnisse und Erholung
Wenn Angehörige Entlastung ablehnen
Manche pflegebedürftige Personen lehnen Entlastungsangebote ab. Tipps zum Umgang:
- Erklären Sie ruhig, dass Sie die Unterstützung brauchen, um weiterhin gut pflegen zu können
- Beginnen Sie mit kurzen, regelmässigen Zeiten (Gewöhnung)
- Präsentieren Sie es als Angebot für die Person selbst (soziale Kontakte, Aktivitäten)
- Holen Sie Unterstützung von Fachpersonen (Arzt, Spitex) für das Gespräch
- Setzen Sie Grenzen: Ihre Gesundheit ist wichtig
Checkliste: Entlastung organisieren
- Bedarfsanalyse: Welche Art und welchen Umfang an Entlastung brauche ich?
- Angebote recherchieren: Pro Senectute, Rotes Kreuz, Spitex, lokale Organisationen kontaktieren
- Finanzierung klären: Hilflosenentschädigung, EL, Gemeindezuschüsse prüfen
- Angebote ausprobieren: Schnuppertage nutzen
- Regelmässigkeit etablieren: Feste Termine vereinbaren
- Schuldgefühle überwinden: Entlastung ist notwendig und erlaubt
- Kommunikation: Mit pflegebedürftiger Person, Familie, Arbeitgeber sprechen
- Notfallplan: Was passiert, wenn ich plötzlich ausfalle (Krankheit, Unfall)?
- Eigene Gesundheit: Regelmässige Arztbesuche, auf Warnsignale achten
- Austausch suchen: Selbsthilfegruppen, Beratung nutzen